Das Eigenheim – Sicherheit, Ruhe, Privatbesitz – mit diesen oder ähnlichen Begriffen ist es im allgemeinen Verständnis positiv konnotiert. Und doch hat der Ausbau des neuen Stalls im Raeume Wohnprojekt nun mehr als 20 Menschen angelockt, die sich wünschen, Teil einer großen Gemeinschaft zu sein.
Doch was ist die Motivation dahinter, auf ein Eigenheim zu verzichten? Und den eigenen Wohnraum nicht nur mit der Familie oder Menschen gleichen Alters, sondern mit Menschen aller Altersklassen zu teilen? Heißt das dann nicht, aller Ruhe und Vertrautheit endgültig den Rücken zu kehren und die eigenen Angewohnheiten ständig rechtfertigen zu müssen?
Es ist keine leichtfertige Entscheidung, Teil einer großen, selbstorganisierten Gemeinschaft zu werden. Eine hierarchiefreie Gemeinschaft bedeutet, auf die Bedürfnisse aller einzugehen. Wir treffen Entscheidungen im Konsens. Das bedeutet, dass wir jeweils die größtmögliche Zustimmung anstreben. Und das kann bei einer großen Anzahl von Menschen mitunter kompliziert sein.
Im Gegensatz zu genossenschaftlichen Bauprojekten – oder eben dem Eigenheim – ist unser Wohnprojekt nach dem Modell des Mietshäuser Syndikats organisiert und damit unabhängig von der Mietpreisentwicklung am Wohnungsmarkt. Des Weiteren zahlen wir solidarisch Miete, das bedeutet, dass in einer halbjährlichen Bieterunde je nach finanzieller Lage der Individuen geschaut wird, wer wie viel zahlt, um gemeinsam auf den benötigten Gesamtbetrag zu kommen. So soll ermöglicht werden, dass niemand auf Grund fehlender finanzieller Mittel ausgeschlossen wird, wie es auf dem Wohnungsmarkt normalerweise der Fall ist.
Ein weiterer Grund, der viele Menschen dazu bewegt, in eine Gemeinschaft zu ziehen, ist der Aspekt des Teilens. Denn wie so manche sich momentan – in Zeiten der Pandemie – nach geteilter Freude sehnen, so ist es auch schön, viele weitere Dinge zusammen zu erleben. Wie viel geselliger und lebendiger ist es, Raum mit anderen zu teilen und zu gestalten, als alleine? Außerdem jegliche Ressourcen – braucht es denn wirklich eine Bohrmaschine auf zwei Leute? Ganz sicher nicht! Je größer die Gemeinschaft, desto mehr Materielles kommt zusammen, was geteilt werden kann. Das bedeutet keinen Verzicht, sondern spart Ressourcen und fördert einen sorgsamen Umgang damit. Keine Lebensmittel werden verschwendet, denn irgendwer hat immer Hunger und isst die Reste. Und irgendwer hat immer ein Rezept im Kopf, wenn den anderen die Ideen ausgehen. Und irgendeine hat immer einen Plan, eine wertvolle Erfahrung oder das passende Werkzeug. Und auch ein offenes Ohr. Und so wird miteinander gelebt.
Außerdem teilen wir Aufgaben – und davon fallen bei der Selbstverwaltung des gemeinsamen Wohnraums einige an, die es in einem „normalen“ Haushalt nicht gibt. Dazu gibt es einzelne Arbeitsgruppen, die sich jeweils mit einem speziellen Aufgabenbereich, etwa der Finanzierung oder der IT-Infrastruktur, befassen und sich so spannende Fertigkeiten aneignen, die wiederum den Wissenspool der Gemeinschaft vergrößern. Wenn alle ein bisschen mithelfen, ist plötzlich ganz schön viel geschafft.
Was die Menschen in dieser Gemeinschaft unter anderem vereint, ist die politische Überzeugung. Alle sind überzeugt davon, dass eine offene und pluralistische Gesellschaft ohne Wirtschaftszwänge, möglichst weit entfernt vom diskriminierenden Patriarchat und ausbeutenden Kapitalismus, eine bessere ist. Diese gemeinsame Utopie stärkt das Miteinander und bewirkt, diesen Vorstellungen möglichst viel Raum im Jetzt und Hier zu geben. Viele Menschen können aus einem sicheren Ort Kraft schöpfen, und das soll in einer Gemeinschaft auch passieren. Hier heißt sicher aber nicht nur vertraut und verschließbar, sondern auch konstruktiv kritisierend, fantasierend, und ausprobierend.